Biografie
1903
3. April: Hellmut Huchel wird in Lichterfelde bei Berlin als Sohn eines Beamten geboren.
1923-1926
Studium der Literatur und Philosophie in Berlin, Freiburg/Breisgau und Wien.
1927-1930
Reisen nach Frankreich, Rumänien, Ungarn und in die Türkei.
ab 1930
Huchel nimmt den Vornamen Peter an. Beginn der Freundschaften mit Ernst Bloch und Alfred Kantorowicz (1899-1979) mit dem er sich 1931 eine gemeinsame Wohnung teilt.
1930-1936
Veröffentlichungen in der bekannten Literaturzeitschrift "Die literarische Welt" sowie in "Das Innere Reich", "Die Kolonne" und "Vossische Zeitung". Seine frühe Lyrik ist stark von der märkischen Landschaft geprägt.
1931
Veröffentlichung der Prosastudie über einen NS-Mitläufer aus dem Kleinbürgertum unter dem Titel "Im Jahre 1930".
1932
Auszeichnung mit dem Lyrikerpreis der Zeitschrift "Kolonne" für den Gedichtband "Der Knabenteich".
Bekanntschaft mit Günter Eich.
1934
Heirat mit Dora Lassel. Das Paar trennt sich 1946.
1934-1940
Arbeit als Hörspielautor unter anderem für den Reichssender Berlin und den Deutschen Kurzwellensender. Gesendet wird unter anderem "Die Magd und das Kind" (1935) und "Margarethe Minde" (1939). In dieser Arbeit zeigt sich seine später weiter entwickelte Fähigkeit, Politisches im versteckten Zitat zu verschlüsseln.
1941-1945
Kriegsdienst bei der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, bis er 1945 in sowjetische Gefangenschaft gerät.
1945-1948
Nach einem Lehrgang an der "Antifa-Schule" Rüdersdorf arbeitet Huchel beim Ost-Berliner Rundfunk. Er beginnt dort als Dramaturg und persönlicher Referent des Sendeleiters, steigt 1946 zum Chefdramaturg, danach zum Sendeleiter und ab 1947 zum Künstlerischen Direktor auf.
1948
Veröffentlichung seiner Arbeiten aus der Zeit nach 1925 unter dem Titel "Gedichte". Darin zeigen sich die Kontraste zwischen Kindheitsidylle und Kriegs- und Fluchterfahrungen.
1949
Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.
1949-1962
Chefredakteur der von Johannes R. Becher und Paul Wiegler gegründeten literarischen Zeitschrift "Sinn und Form" der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin.
1951
Auszeichnung mit dem Nationalpreis der DDR.
1952-1971
Mitglied der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin.
1953
Heirat mit Monica Rosenthal.
1956
Offizieller Vertreter der DDR auf der Biennale der Dichtung in Knokke.
1961
Nach dem Mauerbau wird Huchel wegen seiner systemübergreifenden künstlerischen Konzeptionen angegriffen.
1962
Rücktritt aus dem Amt des Chefredakteurs von "Sinn und Form" aus Protest gegen die ihm gegenüber gezeigte Kritik an seiner parteiunabhängigen künstlerisch-verlegerischen Konzeption.
1963
In einem bundesdeutschen Verlag erscheint der Lyrikband "Chausseen, Chausseen", für den er den Theodor-Fontane-Preis Berlin (West) erhält.
1963-1971
Nachdem Huchel sich weigert, den ihm verliehenen West-Berliner Fontane-Preis abzulehnen, wird er in der DDR zunehmend isoliert. Er bekommt weder weitere Publikationsmöglichkeiten in der DDR noch darf er reisen. Ab 1968 wird auch die an ihn gerichtete Post konfisziert.
1965
Der Berufung an den Lehrstuhl für Poetik an die Universität Frankfurt/Main kann Huchel nicht folgen, da er die DDR nicht verlassen darf.
1968
Zur Entgegennahme des Großen Kunstpreises von Nordrhein Westfalen darf Huchel nicht ausreisen.
1971
Nach Interventionen der West-Berliner Akademie der Künste sowie des Präsidenten des Internationalen PEN Zentrums und Heinrich Bölls wird Huchel die Ausreise aus der DDR genehmigt.
Zunächst lebt er in der Villa Massimo in Rom bis er sich endgültig in Staufen bei Freiburg niederläßt.
Veröffentlichung des Gedichtbandes "Gezählte Tage" mit Arbeiten seit 1963.
1976
Aufnahme in den Orden "Pour le Mérite" für Wissenschaft und Künste.
1977
Verleihung des Europalia-Preises.
1979
Auszeichnung mit dem Jacob-Burckhardt-Preis und dem Eichendorff-Preis.
Huchel wird Mitglied der Bayrischen Akademie der schönen Künste und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt.
1981
30. April: Peter Huchel stirbt in Staufen.
Zu seinen Ehren stiftet das Land Baden-Württemberg einen Peter-Huchel-Preis, der erstmals 1984 verliehen wird.
(iz) © Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
Staufen im Breisgau und Wilhelmshorst in Brandenburg - zwei wichtige Orte für die deutsche Literaturgeschichte nach 1945.
Wolf Biermann: Ermutigung
Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich.
Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittren Zeit.
Die Herrschenden erzittern
- sitzt du erst hinter Gittern -
doch nicht vor deinem Leid.
Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das wolln sie doch bezwecken
daß wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.
Du, laß dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.
Wir wolln es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
wir wolln das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid
© 1966 by Hoffman und Campe Verlag, Hamburg
Wolf Biermann schrieb dieses Lied für den Lyriker Peter Huchel. Von 1962 bis zu seiner Ausreise aus der DDR 1971 lebte Huchel überwacht und isoliert in seinem Haus in Wilhelmshorst in der Mark Brandenburg bei Berlin. Nur wenige Freunde trauten sich noch dorthin. Biermann hatte wie Huchel nichts mehr zu verlieren und übernachtete manchmal auf dem Dachboden. Der Liedermacher erinnerte sich später wie Huchel zum Nachklang der Gitarre grübelte. „Dann sagte der Alte jedesmal nur dies eine Wort: Shakespeare.“ Biermann verstand nicht warum. Ein ungleiches Paar hatte sich gefunden. „Er wusste es meistens besser und war dennoch kein Besserwisser. Er war am lebensbitteren Ende und ich am lebenshungrigen Anfang.“
Peter Huchel hatte nach dem Krieg die Stelle als Chefredakteur der Zeitschrift „Sinn und Form“ angenommen, auf Drängen des späteren Kulturministers der DDR Johannes R. Becher. Eine Literaturzeitschrift auf höchstem europäischen Niveau sollte entstehen. Geistig wollte man der sich abzeichnenden politischen Spaltung Deutschlands etwas entgegensetzen. Die Reaktionen auf die erste Ausgabe 1949 waren euphorisch. Thomas Mann gratulierte Becher und Bertolt Brecht lobte Huchel. Doch bald wurden die Konflikte mit der SED nervenaufreibend. Die Zeitschrift richtete sich nach Ansicht der Partei zu wenig an die Werktätigen. Huchel wollte aufgeben und wurde von Brecht noch einmal zum Weitermachen überredet. 1962 verloren die DDR –Funktionäre die Geduld mit den Neomarxisten, Humanisten und Wortmagiern. Schön Gereimtes von Ulbricht sollte stattdessen erscheinen. Chefredakteur Huchel wurde rausgeworfen. Erst neun Jahre später am 27. April 1971 durfte die Familie nach Protesten von Heinrich Böll und dem internationalen PEN ausreisen. Der „Fall Huchel“ wurde für Ulbricht immer peinlicher. Huchel schrieb am Tag seiner Ausreise:
Am Tage meines Fortgehens
Entweichen die Dohlen
Durchs glitzernde Netz der Mücken
Der Verleger Michael Krüger, Huchel-Preisträger 1986, erlebte drei Tage nach der Übersiedlung Huchel als „gebrochenen Mann“. In Staufen im Breisgau bei Freiburg fand die Familie ein neues, ein letztes Zuhause. Die Schriftsteller Erhart Kästner und Marie-Luise Kaschnitz lebten in der Nachbarschaft. Die Familien wurden enge Freunde. Huchel starb 1981.
„Ich meine, der Lyriker lebt immer am Rand der Gesellschaft“, hatte Huchel einmal gesagt. Der Peter-Huchel-Preis möchte einen kleinen Beitrag leisten, dies zu ändern und er möchte im Sinn Huchels die Vielstimmigkeit der Gegenwartslyrik fördern. Darum wird jeweils am Geburtstag Huchels, er wurde am 3. April 1903 geboren, im Stubenhaus in Staufen der „herausragende Gedichtband“ eines Jahres ausgezeichnet.
Eher ungewollt hat sich der Preis auch zu einer Hommage an seinen Namensgeber entwickelt. Das ist bei älteren Preisträgern, darunter Manfred Peter Hein, Wulf Kirsten, Elke Erb, Jürgen Becker und Adolf Endler kaum verwunderlich. Sie kannten Huchel aus gemeinsamer Zeit. Uljana Wolf, Marion Poschmann, Nora Bossong und die Preisträgerin 2013 Monika Rinck gehören einer jungen Generation an. Doch auch für sie ist das Werk des Naturlyrikers und Sprachmagiers Huchel ein fester Bezugspunkt geblieben. Nora Bossong erzählte 2012, lange habe sie die Angewohnheit gehabt, ihren Studienalltag mit der Lektüre eines Huchel-Gedichtes zu beginnen.
Huchels Einfluss auf die Literatur nach dem 2. Weltkrieg ist bisher weder für die Zeit vor noch nach der Trennung Deutschlands angemessen beschrieben. Die Literarische Gedenkstätte für die Dichterfreunde Peter Huchel und Erhart Kästner, die im April 2013 im Stubenhaus in Staufen von der Stadt und der Arbeitsstelle für literarische Museen, Archive und Gedenkstätte in Baden Württemberg eingerichtet wurde, leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
Werner Witt
Michael Gratz:
Der Fremde geht davon. Peter Huchels letztes Jahrzehnt
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Michael Gratz, geb 1949 in Merseburg, ist Mitarbeiter am Institut für Deutsche Philologie der Universität Greifswald.
Der Text ist mit freundlicher Erlaubnis des Autors entnommen aus:
Am Tage meines Fortgehns entweichen die Dohlen durchs glitzernde Netz der Mücken. Begleitband zur Ausstellung Peter Huchel in Wilhelmshorst.
Frankfurt am Main : Insel, o.J., ca. 1996
Hrsg. im Auftrag des Brandenburgischen Literaturbüros von Michael Gratz.