Foto: Jens Tremmel, Marbach
Elke Erb mailte am 3.4.2013 eine Erklärung zu ihrer Dankrede von 1988:
Elke Erb
EINE ERKLÄRUNG
Es war an meiner Dankesrede für den Huchelpreis etwas jemandem nicht recht. Er (oder sie?) sprach es aus. Der Einwand bezog sich auf den Titel: "Mit zwei Gesichtern / und einer Feder", und der Einwand hieß: "Aber da waren doch die Spitzel gemeint.".
Der Titel zitierte zwei Verse aus einem kleinen Gedicht Huchels, das vollständig so lautet:
Die Fähigkeit
der Dichterspinnen
aus eigener Substanz
das dünne Seil zu dichten,
auf dem sie dann geschickt
mit zwei Gesichtern
und einer Feder
durch alle Lüfte balancieren.
Der Einwand beunruhigte mich mit dem Gefühl, da wirklich etwas übergangen zu haben. Es handelte sich bei dem Gedicht um einen Tadel, ein Abstandnehmen von den "Dichterspinnen".
Ich aber übersah es in einem Eifer. Ohne diesen Eifer hätte ich es nicht übersehen. Der Eifer galt der Zahl 2. Der doppelten Aufgabe, vor der der Dichter steht: der Außenwelt zu entsprechen wie der Innenwelt. Ich war gerade von der Entdeckung dieses Motivs gekommen in einem aufregenden Gang durch das Werk Marina Zwetajewas. Einer Entdeckung dieses und anderer Motive, die es von ihm aus weiterführten und bei ihrer Vereinigung zu einer Sinus-Kurve endete (welche ich später lange Zeit das Integral nannte). Auch in Huchels Werk ging ich solchen, dann aber andersartigen Motiven nach, von denen meine Dankrede für den Preis weiter spricht. Ich war ihnen auf der Spur. Und dieses Aufspüren ließ mich die Anklage, die das Gedicht meint, übersehen. Ich sah sie auch nicht, als ich später in der Rede die deutlichere Sicht zitierte:
Ausgesetzt der hallenden Öde
hörte ich die Mittagsstimme:
Wenn du im Herzen
die Wahrheit bewegst,
die Lüge bewegst,
die List,
erschlagen dich die Steine.
Verführt hatte mich zudem die Wahrheit der Spinnenmetapher: aus eigener Substanz / das dünne Seil zu dichten. Und ich übersah den Verrat, der gemeint ist: die Doppelzüngigkeit.
Die zwei Gesichter faßte ich als die doppelte Sicht von Innen- und Außenwelt, der der Dichter zu entsprechen hat. Und der er mit dem Integral entspricht. Auch nach dem Vorwurf gelang es mir nicht, dem weniger einleuchtenden zwei Gesichtern gerecht zu werden. Haben denn Spitzel zwei Gesichter? Bis ich begriff, daß es um Doppelzüngigkeit geht ...
Peter Wapnewski sprach in einem Aufsatz*, den ich später las, von "der Technik des kontrapunktischen Verfahrens" [...] "mittels deren Huchel Dauer im Wechsel darstellt, will sagen die Konstanz des Erbarmungswürdigen und Erbärmlichen im Dahinrinnen der Tage [...]", und ich war auf dieser Spur zurecht und hatte am Ende meiner Rede Erbarmen mit beidem, als ich, nach dem Titel, auf ein zweites Zitat aus dem, freilich mißverstandenen, Gedicht der Anklage kam: "die in ihr" (der Dichtung Huchels) "geborgene und bis zum Ende ihres Lebens in allen Lüften bewahrte Stimme, gegründet auf den Mut eines vierjährigen Kindes" (das er war, als er die Mutter verlor).
Ich befreie mich von einer jahrelang mich bedrückenden Gewissenslast, dankbar für die Gelegenheit, diese schwierige Sache hier aufzuklären.
* Peter Wapnewski. Die Zeit. 10.11.1972
Urs Allemann
HERMETISMUS, DER ÖFFNUNG EINKLAGT
Daß, wenn ein Mensch spricht, / es nicht so ist, / wie wenn da ein Mensch spricht: das ist eine präzise Definition des kommunikationsverweigernden, ganz in sich selber sich verschließenden, hermetischen Gedichts – und seines Unrechts. Manche, durchaus nicht alle Gedichte von Elke Erb sind hermetisch; daß sie unverständlich sei, wird gerade dieser Autorin immer wieder (und zunehmend) vorgeworfen. Aber wenn Elke Erb hermetisch ist, dann ist das alles andere als ein selbstzufrieden auf die fensterlose Schulter sich klopfender Hermetismus, der etwa sanft auf dem Kissen seines guten Gewissens ruhte. Es ist vielmehr ein gegen sich den Prozeß anstrengender Hermetismus, der Öffnung einklagt und dessen Parole nicht Selbstperpetuierung auf NIMMERSTIRB, sondern Selbstaufhebung, Selbstentgradigung, Wiederrundwerdung ist.
In diesem Zusammenhang einer Selbstkritik des Hermetismus müssen wir den außerordentlichen Versuch sehen, den Elke Erb in ihrer Kastanienallee unternommen hat: den Versuch, einen ganzen Lyrikband hindurch ihre Texte selber zu kommentieren. Das ist nun in der Tat einmal ein besonders bemerkenswerter Beitrag zur Entwicklung der deutschsprachigen Lyrik, wie ihn die Jury des Peter-Huchel-Preises ja jährlich auszuzeichnen gehalten ist. Denn diese Kommentare sind durchaus nicht den Texten womöglich in pädagogischer Absicht beigegebene, etwa zum Ausräumen von Verständnisschwierigkeiten bestimmter Lese- und Entschlüs-selungsarbeit scheuender Leser. Die Kommentare vereinfachen die Lektüre von Elke Erbs Lyrik nicht.
Durch sie ist deren Gehalt nicht wohlfeiler zu haben. Ich gestehe gern, daß es Gedichte gibt, die mir durch den Kommentar der Autorin erst wieder unverständlich – vorläufig unverständlich, sage ich unbeirrt zuversichtlich – geworden sind.
Elke Erb schwebt vor, in ihren Kommentaren den Denkprozeß zu erfassen, dessen Ausdruck das Reden und Schweigen der Texte ist. Der Kommentar setzt die Arbeit am Gedicht fort, erweitert es über seine Grenzen hinaus. Das Produkt wird rückübersetzt in den Prozeß, dem es seine Entstehung verdankt. Die in ihrem Resultat verschwundene vermittelnde Bewegung wird wieder sichtbar gemacht.
(Aus: Urs Allemann, Laudatio auf Elke Erb, 3.4.1988)